Die internationale Entsendung von Mitarbeitern – Teil 08 – Ausstrahlung und Beschäftigungen in mehreren Ländern
4.4.3. Ausstrahlung
Bei einer Entsendung kann der Mitarbeiter auch im Ausland den Schutz der deutschen Sozialversicherung in Anspruch nehmen. Man spricht dann von einer Ausstrahlung des Sozialversicherungsrechts § 4 SGB[1] IV. Besteht dagegen das Arbeitsverhältnis zu einer ausländischen Tochtergesellschaft oder liegt eine dauerhafte Auslandstätigkeit vor, so ist der Arbeitnehmer ausschließlich bei der ausländischen Sozialversicherung beitragspflichtig und leistungsberechtigt. Falls die Ausstrahlung für den Mitarbeiter zutrifft, zahlt er seine Beiträge zur Sozialversicherung in Deutschland. Er ist während seines Einsatzes im Ausland nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht versichert und behält auf diese Weise alle seine Ansprüche an die deutsche Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Das schafft Sicherheit für den Arbeitgeber sowie auch für den Mitarbeiter.
4.4.3.1. Voraussetzungen einer Ausstrahlung
Für die Sozialversicherungspflicht in Deutschland gelten folgende Voraussetzungen:
- Der im Ausland eingesetzte Mitarbeiter muss weiterhin in Deutschland beschäftigt sein. Das Arbeitsverhältnis besteht also während seines Auslandseinsatzes weiter.
- Das Entgelt wird in Deutschland abgerechnet.
- Der Mitarbeiter ist bei seinem Auslandseinsatz weiter an Weisungen aus Deutschland gebunden.
- Der Arbeitseinsatz im Ausland muss von vornherein befristet sein. Es reicht nicht aus, dass sich der Arbeitgeber das Recht vorbehält, den Mitarbeiter jederzeit nach Deutschland zurückzurufen, damit der Arbeitseinsatz als befristet gilt.
4.4.3.2. Fehlende Ausstrahlung
Unter folgenden Bedingungen strahlt das deutsche Sozialversicherungsrecht nicht ins Ausland aus:
- Sie stellen den Mitarbeiter nicht in Deutschland ein, sondern im Ausland für den Einsatz dort mit einem lokalen Arbeitsvertrag.
- Sie machen bei einem länger als zwei Monate dauernden Einsatz die Personalkosten als Betriebsausgaben am ausländischen Standort geltend.
- Der Arbeitseinsatz ist von Anfang an unbefristet oder wird erst während des Auslandsaufenthalts befristet.
- Der Mitarbeiter gestaltet die ausländische Firma maßgeblich mit. Das trifft fast immer zu, wenn er in deren Organigramm aufgeführt wird und in leitender Funktion in der ausländischen Firma tätig ist, beispielsweise als Geschäftsführer.
- Sie entsenden einen Mitarbeiter ins Ausland, der einen bereits vorher dorthin entsendeten Mitarbeiter ablösen soll, und verändern die Stellenbeschreibung nicht. Die Sozialversicherungsträger unterstellen in diesem Fall eine sogenannte Kettenbeschäftigung und erkennen die Ausstrahlung deshalb nicht an[2].
4.4.3.3. Beendigung der Ausstrahlung
Regelmäßig ist die Ausstrahlung beendet, wenn der ausländische Beschäftigungsort derselbe bleibt, aber der Arbeitgeber wechselt, oder der Arbeitgeber derselbe bleibt, jedoch der Beschäftigungsort vorrübergehend vom Ausland ins Inland verlegt wird, oder eine befristete Entsendung in eine unbefristete Auslandsbeschäftigung umgewandelt wird[3].
4.4.3.4. Rückkehr ins Inland
Kehrt der entsandte Arbeitnehmer auf Dauer nach Deutschland zurück, so endet die Entsendung. Die Entsendung wird in Fällen von Urlaub, Schulungen im deutschen Unternehmen oder zur etwaigen Berichterstattung nach Hause, nicht unterbrochen oder gar beendet. Der betreffende Zeitraum darf aber nicht mehr als zwei Monate andauern.
Beispiel 1:
Ingenieur Alfred ist für zwei Jahre nach Ecuador entsandt. Während dieser Zeit kehrt er in jedem der beiden Jahre für jeweils vier Wochen Urlaub sowie für jeweils zwei dreiwöchige Aufenthalte zum Zwecke von Schulungen und Berichterstattungen nach Deutschland zurück.
- Am Wesen der Entsendung ändert sich durch die kurzweilige Rückkehr nichts.
Von Bedeutung ist diese Regelung insbesondere bei unbefristeten Entsendungen, die kein Bestehen der Sozialversicherungspflicht in Deutschland begründen. Durch eine kurzfristige Rückkehr und Beschäftigung in Deutschland von bis zu zwei Monaten entsteht keine (erneute) Sozialversicherungspflicht und somit kein Sozialversicherungsschutz in Deutschland.
Beispiel 2:
Karl ist unbefristet nach Brasilien entsandt worden. Aufgrund der fehlenden Befristung gelten nicht die Regelungen zur Ausstrahlung, wodurch kein Sozialversicherungsschutz aus deutscher Sicht besteht. Für vier Wochen pro Jahr kommt Karl während seines Urlaubs nach Deutschland.
- Die Entsendung wird durch den Urlaub nicht unterbrochen. Dadurch entsteht auch für die Urlaubsdauer in Deutschland keine Sozialversicherungspflicht nach deutschem Recht.
Beispiel 3:
Otto ist unbefristet nach Namibia entsandt worden. Aufgrund der fehlenden Befristung finden auch hier die Merkmale der Ausstrahlung keine Anwendung. Mithin besteht auch kein Sozialversicherungsschutz nach deutschem Recht. Otto verbringt im Rhythmus von zwei Jahren jeweils vier Monate zur Schulung und Weiterbildung in Deutschland.
- Die Entsendung wird durch den Aufenthalt in Deutschland unterbrochen, da die Unterbrechungen je länger als zwei Monate andauern. Es handelt sich damit für die betreffende Zeit um eine Beschäftigung in Deutschland, wodurch für Otto eine Sozialversicherungspflicht nach deutschem Recht besteht.
4.4.3.5. Formalitäten
Zur Verfahrensvereinfachung haben die EU-EWR-Mitgliedstaaten die Verwendung einheitlicher Vordrucke vereinbart. Der Entsendeausweis und der Verlängerungsantrag sind bei der DVKA (Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland) erhältlich.
Die Anschrift der DVKA lautet:
Deutsche Verbindungsstelle Ausland
Postfach 200464,
53134 Bonn
(www.dvka.de)
Mit dem sogenannten Verlängerungsantrag (E 102) kann der betreffende Arbeitnehmer das Formular E 101 für maximal weitere 12 Monate verlängern lassen. Die Verlängerung muss beantragt werden bevor die vorherige Entsendung beendet ist.
Die DVKA ist neben der zuständigen Krankenkasse genereller Ansprechpartner. Ist der Arbeitnehmer nicht Pflicht- oder freiwilliges Mitglied einer deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, so stellt die DRV (Deutsche Rentenversicherung Bund) das Formular aus.
4.4.3.6. Entsendeausweis/Formular A1
Für Arbeitnehmer gelten die Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit des Landes in dem sie arbeiten. Dies gilt auch für sogenannte „Grenzgänger“, die am Morgen zur Arbeit die Staatengrenze überschreiten und abends wieder zurückfahren.
Bei entsandten Mitarbeitern, die ihre Tätigkeit kurzfristig, auf Weisung des Unternehmens, in einem anderen Land ausüben, gilt weiterhin, dass sie durch das Land versichert sind, in dem sie eigentlich arbeiten. Bedingungen hierfür sind allerdings, dass die Entsendung eine Dauer von zwölf Monaten nicht übersteigt und der Entsandte nicht einen anderen Arbeitnehmer ablöst, dessen zwölfmonatige Entsendung zuvor geendet ist.
Beispiel
Das Gastland muss Ihr gültiges Formular A1 anerkennen
Anton stammt aus Deutschland. Er ist als Bauarbeiter selbständig erwerbstätig und arbeitet derzeit in Irland. Inspektoren, die eine Prüfung der Baustelle durchführen, auf der Alan tätig ist, erklären, Antons Formular A1 (früher: Formular E 101) sei ungültig. Unter diesen Umständen müsste Anton in Irland Sozialversicherungsbeiträge entrichten. Gemäß EU-Recht können die irischen Behörden nicht beurteilen, ob Anton rechtmäßig entsandt wurde oder nicht. Nur Deutschland als sein gewöhnlicher Tätigkeitsstaat kann ein Formular A1 für ungültig erklären. Sobald dies geklärt ist, nehmen die irischen Behörden zur Kenntnis, dass Anton in Irland nicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet ist.
Soweit in dem Einsatzland, in welchem der entsandte Mitarbeiter seiner Tätigkeit nachgeht, keine Regelung des über- und zwischenstaatlichen Rechts anzuwenden ist (z. B. Kasachstan, Indonesien oder Südafrika), ist eine Doppelversicherung nicht ausgeschlossen. Ob Versicherungspflicht in Deutschland besteht, prüft und entscheidet ausschließlich die jeweilige Einzugsstelle (Krankenkasse) beziehungsweise der für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zuständige Unfallversicherungsträger.
Informationen über eine gegebenenfalls mögliche freiwillige Versicherung in Deutschland erhält jeder betroffene Arbeitnehmer ebenfalls unmittelbar bei dem jeweiligen Versicherungsträger.
4.4.3.7. Europäische Krankenversicherungskarte
Anspruchsgrundlage für den Erhalt von Sachleistungen ist im Anwendungsbereich der Verordnungen (EG) über Soziale Sicherheit die Europäische Krankenversicherungskarte, die sich in der Regel auf der Rückseite der Krankenversichertenkarte befindet.
Es handelt sich um eine kostenlose Karte, mit der man während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem der 28 EU-Länder sowie in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz Anspruch auf medizinisch notwendige Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens hat – zu denselben Bedingungen und Kosten (in einigen Ländern kostenlos) wie die Versicherten des jeweiligen Landes. Ausgestellt wird die Karte von der gesetzlichen Krankenversicherung des Entsandten.
Wichtig:
- Die Europäische Kranversicherungskarte ist kein Ersatz für eine Reiseversicherung. Inbegriffen sind weder Leistungen der privaten Gesundheitsversorgung noch andere Kosten, die entstehen könnten (z. B. Rückflug in das Heimatland, Wiedererwerb verlorenen oder gestohlenen Eigentums).
- Sie garantiert keine kostenlose Behandlung. Die Gesundheitssysteme der einzelnen Länder sind unterschiedlich. So ist es möglich, dass Leistungen, für die Sie im Inland nichts bezahlen müssen, in anderen Ländern kostenpflichtig sind[4].
Hinsichtlich des Leistungsumfanges ist zu beachten, dass die entsandten Personen nur die Sachleistungen in Anspruch nehmen können, die – unter Berücksichtigung der Dauer des Aufenthalts – notwendig sind. Des Weiteren können nur Leistungen in Anspruch genommen werden, die den in dem Staat lebenden und versicherten Personen zur Verfügung stehen. Ebenso müssen die im Beschäftigungsstaat vorgesehenen Selbstbehalte und Eigenanteile entrichtet werden. Begleiten die Familienangehörigen den entsandten Arbeitnehmer, so können auch sie Sachleistungen mit der Europäischen Krankenversicherungskarte erhalten.
4.4.4. Beschäftigungen in mehreren Ländern
Für Arbeitnehmer, die in mehreren Ländern gleichzeitig beschäftigt sind, bestehen zwei Möglichkeiten:
- Sie fallen unter die Sozialversicherung ihres Wohnsitzlandes
- Sie fallen unter die Sozialversicherung des Landes, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat
Wenn der Arbeitnehmer in mehreren EU-Ländern beschäftigt ist, worunter auch sein Wohnsitzstaat fällt, und dort einen großen Teil seiner Tätigkeit verrichtet – 25% seiner Tätigkeit und 25% seiner Einkünfte - dann unterliegt er der Sozialversicherung in seinem Wohnsitzstaat. Wenn dieser Aspekt jedoch nicht erfüllt ist, fällt seine Sozialversicherungspflicht in dem Land an, in welchem der Arbeitgeber seinen Firmensitz hat.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die internationale Entsendung von Mitarbeitern“ von Tilo Schindele, auf Arbeitsrecht spezialisierter Rechtsanwalt, und Babett Stoye, LL.B., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1.
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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2016