Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen – Teil 10 – Das Kompensationsverbot, Verbringungsverbote (§ 370 AO)
Herausgeber / Autor(-en):
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
5.2.4.1.2 Anmeldungssteuern
Während die Veranlagungssteuer der Regelfall ist, bei dem die Behörde auf Grundlage des ausgefüllten amtlichen Vordrucks die Berechnung durchführt, gibt es daneben Konstellationen, in denen der Steuerpflichtige die Steuer selbst berechnet. Dies ist z.B. gemäß § 150 Absatz 1 Satz 2 AO die sogenannte Steueranmeldung.
Beispiele dafür sind
- Umsatzsteuervoranmeldungen gemäß § 18 Absatz 1 Umsatzsteuergesetz
- Lohnsteueranmeldungen gemäß § 41a Absatz 1 Einkommenssteuergesetz oder
- Versicherungssteuer gemäß § 8 Versicherungssteuergesetz.
Steuervoranmeldungen sind nach § 168 S. 1 AO immer als sogenannte Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung einzuordnen. Die Steuerbehörde behält sich damit das Recht vor, den Vorgang noch genauer zu prüfen. Der Vorbehalt der Nachprüfung dient der Beschleunigung zum Zweck einer ersten Steuerfestsetzung, die ohne länger dauernde Prüfung der Angaben des Antragenden erfolgt und eine schnelle Bearbeitung der eingehenden Steuerklärungen ermöglichen soll. Soll die Steueranmeldung zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung führen, gilt das erst, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat.
Für Veranlagungssteuer gilt damit, dass der Zeitpunkt der Steuerverkürzung von der Zustimmung abhängt. Ist eine Zustimmung der Finanzbehörde gem. § 168 S. 2 AO notwendig, tritt die Verkürzung mit Bekanntgabe der Zustimmung ein. Ist eine solche nicht erforderlich, so tritt die Verkürzung bereits mit Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde ein.
Reicht der Steuerpflichtige gar keine Steuervoranmeldung ein, wird die Steuerverkürzung gemäß § 370 Absatz 1 Nr. 2 AO mit Ablauf des entsprechenden Fälligkeitstermins vollendet.
5.2.4.2 Der Taterfolg in Form der Erlangung eines Steuervorteils (§ 370 Absatz 4 Satz 2 AO)
Die zweite Taterfolgsvariante ist die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils nach § 370 Absatz 4 Satz 2 AO. Der Täter erschleicht sich einen Steuervorteil, der ihm bei korrekter Auskunft nicht zustehen würde. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Steuervorteil ein Vorteil spezifisch steuerlicher Art, der auf dem Tätigwerden der Finanzbehörde beruht und eine hinreichend konkrete Gefährdung des Steueranspruchs bewirkt.(Fußnote) Nicht gerechtfertigt ist der Steuervorteil, wenn der Täter objektiv keinen Anspruch darauf hat. Das gilt ebenso für Vorteilsgewährung, die im Ermessen der Behörden stehen, soweit die Grundlage unrichtige Angaben sind.
Beispiel
Täter T gründet ein Unternehmen und gibt vor, in erheblichem Umfang Waren zum Weiterverkauf erworben zu haben. Die in den Scheinrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer meldet er dann zur Steuererstattung nach den §§ 18 und 15 Umsatzsteuergesetz an.(Fußnote)
- Für jede einzelne eingereichte Rechnung macht sich der T jeweils einer Steuerhinterziehung strafbar. Durch die unrichtigen Angaben erreicht er den Taterfolg, die Erlangung von Steuererstattungen. Diese stehen ihm objektiv nicht zu, da er tatsächlich nie Waren zum Weiterverkauf erworben hat.
Weitere Fälle des Erlangens eines Steuervorteils finden sich in den beiden Verfahren „Steuererhebung“ (Fünfter Teil der AO, §§ 218ff. AO) und „Vollstreckung“ (Sechster Teil der AO, §§ 249ff. AO).(Fußnote)
Dazu zählen:
- Stundung (§ 222 AO)
- Erlass (§ 227 AO)
- Einstellung und Beschränkung der Vollstreckung (§§ 257, 258 AO)
- Niederschlagung: Diese bedeutet, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht geltend gemacht werden dürfen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zu dem offenen Steuerbetrag stehen.
Beispiel
Täter T verhandelt mit dem Finanzamt wegen erheblicher Steuerverbindlichkeiten, die er nicht begleichen kann. Dabei handelt er aus, dass das Finanzamt von der Zwangsvollstreckung in sein Vermögen gegen die Erbringung einer Einmalzahlung absieht. Weiterhin wird eine sogenannte Niederschlagung gem. § 261 AO ausgehandelt. Bei den Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen verschweigt er einen erheblichen Teil seiner Vermögenswerte.(Fußnote)
- Der T hat sich einer vollendeten Steuerhinterziehung strafbar gemacht. Er hat durch die Übermittlung unrichtiger Angaben bewusst einen nicht berechtigten Steuervorteil in Form von Absehen von Zwangsvollstreckung und der Niederschlagung erhalten. Diese wären bei korrekter Berechnungsgrundlage so nicht bewilligt worden, da er wider seiner Angaben doch einige Vermögenswerte besaß.
Beispiel
Der Täter T übergibt dem Vollziehungsbeamten des Finanzamts bewusst einen ungedeckten Scheck. Der Vollziehungsbeamte sieht deshalb von einer Sachpfändung ab. Der Scheck erweist sich tatsächlich als ungedeckt.
- Der Täter T hat sich einer vollendeten Steuerhinterziehung strafbar gemacht. Er hat sich durch die Abgabe des Schecks konkludent miterklärt, dass dieser gedeckt sei. Damit hat er unrichtige Angaben gegenüber dem Beamten des Finanzamtes erklärt. Ein Taterfolg ist in dem Absehen von Sachpfändung zu sehen, der dem T zumindest mittelbar einen Vorteil sichert.
5.2.5 Das Kompensationsverbot (§ 370 Absatz 4 Satz 3 AO)
Nach § 370 Absatz 4 Satz 3 AO gilt das sogenannte Kompensationsverbot. Es besagt, dass eine Steuerverkürzung auch dann vorliegt, wenn die Steuer aus anderen Gründen ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Damit soll dem Argument des Täters entgegengewirkt werden, dass er die Tathandlung zwar begangen habe, aber bei korrekter Anwendung des Steuerrechts keine objektive Zahlungsverpflichtung entstanden wäre. Der Steuerpflichtige kann sich nicht auf bislang unbekannte Tatsachen stützen, die eine Ermäßigung der Steuerpflicht begründet hätten.
Das Kompensationsverbot umfasst zwei wesentliche Fallgruppen:
- Zum einen der Steuerpflichtige, der durch steuerunehrliches Verhalten Vorteile erlangt hat, die er auch mit ehrlichen Angaben legal hätte erlangen können.
- Zum anderen der Fall, bei dem trotz unrichtiger Angaben über einzelne Besteuerungsgrundlagen der Fiskus (in seiner Gesamtheit) keine monetären Einbußen erlitten hat. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn sich bei zutreffender Berechnung der Umsatzsteuer ein Rotbetrag ergibt, der Vorsteueranspruch also den Umsatzsteueranspruch übersteigt. Dennoch kann sich der Steuerpflichtige der vollendeten Steuerhinterziehung strafbar machen.
Das Kompensationsverbot gilt jedoch nicht allumfassend. Der Steuerpflichtige kann sich nicht auf bislang unbekannte Tatsachen stützen, die eine Ermäßigung oder ein Entfallen der Steuerpflicht ergeben hätten. Das Kompensationsverbot gilt gemäß der Rechtsprechung nicht für Steuervorteile, die mit den unrichtigen/unvollständigen Angaben in einem unmittelbaren, wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Dem Täter dürfen Steuervorteile, die ihm aufgrund seiner richtigen Angaben, oder jedenfalls auch dann ohne weiteres zugestanden hätten, wenn er anstelle der unrichtigen, die der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht hätte, nicht vorenthalten werden, soweit dieser unmittelbare enge wirtschaftliche Zusammenhang besteht.(Fußnote)
Beispiel
Täter T erzielt durch Schwarzverkäufe Betriebseinnahmen in Höhe von 2.000 €, die er in seiner Steuererklärung nicht angegeben hat. Außerdem verschweigt er Schwarzlohnzahlungen an seine Mitarbeiter, die die Betriebseinnahmen erwirtschaftet haben, in Höhe von 1.000 €.(Fußnote)
- Die in Folge der Schwarzeinnahmen entstandenen Verbindlichkeiten aus Umsatz- und Gewerbesteuer stehen in unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den verschwiegenen Einkünften. Diese hätten bei einer wahrheitsgemäßen Erklärung der Einkünfte mit berücksichtigt werden müssen. Sie sind somit nicht vom Kompensationsverbot umfasst und führen zu einer möglichen Ermäßigung der gesamten, hinterzogenen Summe. Die Höhe der hinterzogenen Summe wirkt sich maßgeblich auf die Strafe und das Strafmaß des Täters aus, also unter Umständen auch, ob er eine Haftstrafe zu erwarten hat oder nicht. Die Lohnzahlungen an seine Mitarbeiter hingegen fallen unter das Kompensationsverbot, da diese nicht in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Geschäft stehen.
5.2.6 Verbringungsverbote (§ 370 Absatz 5 AO)
Gemäß § 370 Absatz 5 AO kann eine Steuerhinterziehung auch bei Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist. Die Verbringungsverbote müssen durch Gesetz oder Rechtsordnung oder durch Rechtsakte des Rates oder der Kommission der EU angeordnet sein.(Fußnote)
- Einfuhr bedeutet das Verbringen eines Gegenstandes aus einem fremden in das durch die Verbotsnorm geschützte Gebiet.
- Ausfuhr meint spiegelbildlich dasselbe.
- Durchfuhr meint das Verbringen in das geschützte Gebiet, ohne es in den freien Verkehr des geschützten Gebiets gelangen zu lassen, also beispielsweise das bloße Durchfahren der Ware in einem LKW trotz eines Verbotes, ohne die Absicht zu hegen, die Ware im durchfahrenen Land zu verkaufen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, und Alexander Mayr, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9.

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Monika Dibbelt
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Carola Ritterbach
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Stand: Januar 2016