Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen – Teil 09 – Täterkreis und Taterfolg gem. § 370 Absatz 1 AO
Herausgeber / Autor(-en):
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
5.2.3 Der Täterkreis der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Absatz 1 AO
Die Tathandlungen der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO können zunächst durch den Steuerschuldner selbst begangen werden. Die Tathandlung kann nicht durch die nicht handlungsfähige juristische Person begangen werden, diese handelt durch ihre Organe. Durch die Abwälzung der steuerlichen Pflichten in §§ 34, 35 AO können sich die Organe der juristischen Person, beispielsweise der Geschäftsführer, selbst strafbar machen. Dies stellt den Regelfall dar. Aber auch dritte (natürliche) Personen, die die Tathandlung (Tun sowie Unterlassen) zugunsten des Steuerschuldners begehen, sind umfasst:(Fußnote)
- Finanzbeamte durch wissentliche Nichterfassung erklärter Einnahmen
- Angestellte oder Steuerberater, die ohne Wissen ihres Arbeitgebers/Mandanten zugunsten derselben falsche Tatsachen erklären (ggf. mittelbare Täterschaft)
- Dritte, die falsche Auskünfte erteilen
- Sonderfall: Kein Täter ist nach der Rechtsprechung der Steuerberater, der es unterlässt, versehentliche Falscherklärungen des Auftraggebers zu berichtigen
5.2.4 Der Taterfolg
Das Gesetz kennt zwei mögliche Taterfolge: Steuerverkürzung und Steuervorteil.
5.2.4.1 Taterfolg in Form der Steuerverkürzung (§ 370 Absatz 4 Satz 1 AO)
Der Täter einer Steuerhinterziehung muss durch eine der Tathandlungen als Taterfolg Steuern verkürzt haben. Steuern sind dabei Geldleistung ohne Anspruch auf individuelle Gegenleistung, z.B. Besitz- oder Verkehrssteuer. Zölle und Abschöpfungen stehen diesen gleich, sowie die für unberechtigte Umsatzsteuerausweise (§ 14c Absatz 3 Umsatzsteuergesetz) geschuldete Steuer.(Fußnote)
Keine Steuern sind steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Absatz 3 AO):
- Verzögerungsgelder (§ 146 Absatz 2b AO)
- Verspätungszuschläge (§ 152 AO)
- Zuschläge (§ 162 Absatz 4 AO)
- Zinsen (§§ 233 bis 237 AO)
- Säumniszuschläge (§ 240 AO)
- Zwangsgelder (§ 329 AO)
- Kosten (§§ 89, 178, 178a und §§ 337 bis 345 AO)
- Zinsen im Sinne des Zollkodexes
- Verspätungsgelder (§ 22a Absatz 5 EStG)
Steuerliche Nebenleistungen verfolgen andere Zielsetzungen als Steuern. Sie stellen Druck- und Zwangsmittel, Beugemittel und Entschädigungen für entgangene Kapitalnutzung durch den Steuerberechtigten dar.(Fußnote) Deswegen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs § 370 AO auf diese nicht anzuwenden.(Fußnote)
Der Umfang der Steuerverkürzung ergibt sich aus einer Gegenüberstellung von
- Steuer-Soll: die kraft Gesetzes verwirkte Steuer und
- Steuer-Ist: die Steuer nach den bisherigen unzutreffenden oder unterlassenen Angaben festgesetzte/(vor-)angemeldete Steuer.(Fußnote)
Steuern sind nach § 370 Absatz 4 Satz 1 AO verkürzt, wenn sie
- nicht
- nicht in voller Höhe oder
- nicht rechtzeitig
festgesetzt werden.
„Nicht rechtzeitig“ soll dabei zum Ausdruck bringen, dass selbst nur zeitlich begrenzte Steuerverkürzungen schon zu einer vollendeten Steuerhinterziehung führen. Das gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird, oder wenn eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind dabei Steuervergütungen oder Steuerzuschläge, wie z.B. der Solidaritätszuschlag.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört zum Vorsatz des Täters, dass der bestehende bestimmte Steueranspruch dem Täter bekannt ist und trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde die Absicht der Verkürzung besteht.(Fußnote)
Bezogen auf die Art der Steuerfestsetzung wird zwischen Veranlagungssteuern und Anmeldungssteuern unterschieden.
5.2.4.1.1 Veranlagungssteuern
In aller Regel erfolgt die Steuerfestsetzung bei Veranlagungssteuern gemäß der §§ 155, 157 AO in Form eines
- förmlichen
- schriftlichen und
- mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen
Steuerbescheids der Finanzbehörde.
Beispiele für Veranlagungssteuern sind
- Einkommens-
- Körperschafts- oder
- Gewerbesteuern.
Mit Bekanntgabe ist der Steuerbescheid gem. § 124 Absatz 1 Satz AO gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, wirksam. Die Steuer gilt danach als festgesetzt. Bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale tritt somit mit Bekanntgabe eine vollendete Steuerverkürzung ein. Straflosigkeit kann nach Bekanntgabe nur noch mit einer wirksamen Selbstanzeige erlangt werden. Aus diesem Grund ist es für den Verkürzungserfolg entscheidend, wann der Steuerbescheid bekannt gegeben wurde.
In der Praxis werden Steuerbescheide üblicherweise mit einfachem Brief bekannt gegeben.(Fußnote) Aus Beweisbarkeitsgründen, da die genaue Ankunft des Briefs ohne Einschreiben schwer zu ermitteln ist, gilt nach § 122 Absatz 2 Nr. 1 AO eine Fiktion: Der Verwaltungsakt gilt als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.
Beispiel
Das Finanzamt verschickt den Steuerbescheid, dem manipulierte Angaben zugrunde liegen, am Montag, den 1.6.2015, per einfachen Brief. Der Postbote wirft den Brief am Dienstagnachmittag des 2.6.2015 in den Briefkasten des Täters T. T kommt am Mittwoch, den 3.6.2015 von einer Reise nach Hause und leert sogleich seinen Briefkasten. Dabei findet er auch den Brief des Finanzamtes vor.
- Es kommt aufgrund der Zugangsfiktion weder auf den tatsächlichen Einwurf des Briefs am 2.6.2015 noch auf die tatsächliche Kenntnisnahme am 3.6.2015 des T an. Maßgeblich ist allein die 3-Tages-Fiktion. Somit gilt der Steuerbescheid am Donnerstag (4.6.2015) als bekannt gegeben. Am Donnerstag hat sich T wegen vollendeter Steuerhinterziehung nach § 370 AO strafbar gemacht.
Fällt das Fristende auf einen Sonntag, Feiertag oder Sonnabend, so
verlängert sich nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte die Frist, Fristende ist dann der nächste Werktag.(Fußnote) Verschickt die Finanzbehörde einen Brief an einem Donnerstag, so gilt der versandte Bescheid regelmäßig erst am Montag als bekanntgegeben.
Die Zugangsfiktion gilt nicht, soweit in dem Bescheid ein genauer Bekanntgabezeitpunkt markiert ist, etwa wenn dem Steuerschuldner zum Einreichen von Unterlagen noch Zeit eingeräumt wurde. Soweit ein Zeitpunkt festgelegt ist, ist allein dieser maßgeblich, selbst wenn der Brief nicht oder verspätet ankommt. Im Zweifel muss dies gem. § 122 Absatz 2 AO die Finanzbehörde nachweisen.
Unerheblich ist die Form der Steuerfestsetzung. Das heißt, die vorläufige Steuerfestsetzung bzw. die Festsetzung unter Vorbehalt steht einer „endgültigen“ Veranlagung gleich.
Das Recht des Staates, aufgrund eines Bescheides, Steuern zu verlangen, besteht auch dann, wenn er inhaltlich unzutreffend ist, beispielsweise eine falsche Berechnung zugrunde liegt. Ist das der Fall, besteht für den Steuerschuldner die Möglichkeit einer Berichtigung. Nur in speziellen, gesetzlich normierten Fällen besteht ein solches Recht nicht, z.B. bei schweren formellen Mängeln des Bescheides (sogenannte Nichtigkeit). Für die steuerstrafrechtliche Betrachtung kommt es nur darauf an, dass der Bescheid nicht nichtig ist. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er bereits die Manipulation der Besteuerungsgrundlage unterbinden will.(Fußnote) Ein tatsächlicher Erfolg muss nicht eingetreten sein.
Beispiel
Täter T erhält einen Steuerbescheid, der aufgrund falscher Angaben eine zu hohe Rückzahlung ausweist. Aufgrund eines schweren Formmangels ist der Steuerbescheid jedoch nichtig, was der Behörde selbst auffällt. Es kommt zu keiner Rückzahlung.
- Für die steuerstrafrechtliche Verantwortung des T ist die Nichtigkeit unschädlich. Mit Bekanntgabe des Steuerbescheids hat sich der T der vollendeten Steuerhinterziehung strafbar gemacht.
Ebenso irrelevant für die steuerstrafrechtliche Verantwortung des Täters ist, ob der Täter nicht zutreffend erklärte Besteuerungsgrundlagen in einem späteren Besteuerungszeitraum nacherklärt, oder ob die unzutreffende Steuerfestsetzung überhaupt noch mit den Mitteln des Steuerverfahrensrecht korrigiert werden kann oder nicht.
Genauso ist es irrelevant, ob der Steuerpflichtige selbst oder ein Dritter gegenüber den Finanzbehörden Angaben macht oder Besteuerungsgrundlagen erklärt. Angestellte oder Steuerberater, die auch ohne Wissen ihres Arbeitgebers/Mandanten zugunsten derselben falsche Tatsachen erklären, machen sich ebenfalls einer Steuerhinterziehung strafbar.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, und Alexander Mayr, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9.
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Stand: Januar 2016
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Rechtsanwältin Monika Dibbelt berät in allen Fragen rund um berufsrechtliches Verhalten und berufsrechtliche Ahndungen, hierbei liegt ein Fokus im Bereich der Anstellung von Freiberuflerin in Kanzleien, Sozien oder als Syndici.
Ein weiterer Interessenschwerpunkt von Rechtsanwältin Dibbelt ist das Insolvenzarbeitsrecht. Hierbei berät Frau Dibbelt die Mandanten hinsichtlich der Fragen, ob ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht und unterstützt bei der Antragstellung. Ein weiterer Fokus ist die Beendigung von Arbeits- und Anstellungsverträgen im Rahmen der Krise, des vorläufigen Insolvenzverfahrens sowie des eröffneten Insolvenzverfahrens. Sie berät und begleitet Mandanten, die im Rahmen von Verhandlung des Insolvenzverwalters von ggf. erforderlichen Kollektivvereinbarungen (Interessenausgleich, Insolvenzsozialplan, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarungen etc.) oder auch im Rahmen von Betriebsübergängen betroffen sind.
Rechtsanwältin Dibbelt ist Dozentin für AGB-Recht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte.
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
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- Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
- Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
- Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
- Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
- Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
- Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
- Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter
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