Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) als Rechtsform für mittelständische Unternehmen – Teil 03 – Grenzüberschreitende Sitzverlegung
Herausgeber / Autor(-en):
Harald Brennecke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Brennecke Rechtsanwälte
2.3.3 Grenzüberschreitende Sitzverlegung
Die SE ist die einzige Rechtsform bei der eine grenzüberschreitende Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedsstaat ohne Auflösung der SE im Herkunftsstaat bzw. Neugründung einer SE im Aufnahmestaat möglich ist. Die Voraussetzungen sind in Art. 8 ff. SE-VO geregelt. Die Hauptverwaltung der SE muss allerdings in dem Mitgliedsstaat ansässig sein, in dem die SE ihren tatsächlichen Sitz hat, da gem. Art. 7 SE-VO satzungsmäßiger Sitz und Sitz der Hauptverwaltung in demselben Mitgliedsstaat sein müssen. Als Hauptverwaltungssitz ist gem. Art 54 AEUV der Sitz zu verstehen, an dem die Willensbildung erfolgt und die eigentliche unternehmerische Leistung einer Gesellschaft vollzogen wird.
Sofern eine SE eine grenzüberschreitende Verlegung anstrebt, bedarf es mehrerer Schritte:
- Verlegungsplan
- Verlegungsbericht
- Verlegungsbeschluss
- Regelung der Austrittsrechte
- Bestätigung der Voraussetzungen und Handelsregistereintragung
2.3.3.1 Verlegungsplan
Es muss zunächst ein sog. Verlegungsplan durch das Verwaltungs- oder Leitungsorgan erstellt werden.
Dieser muss gem. Art. 8 II 2 SE-VO folgende Bestandteile erhalten:
- Neuer Sitz der SE
- Neue Satzung
- Zeitplan
- Ggf. die Folgen der Arbeitnehmerbeteiligung
- Rechte zum Schutz der Aktionäre und Gläubiger
Der Verlegungsplan muss gem. Art. 8 IV SE-VO einen Monat vor der stattfindenden Hauptversammlung ausliegen. Gläubiger und Aktionäre können die Unterlagen am Satzungssitz der Gesellschaft in den Räumlichkeiten vor Ort einsehen.
2.3.3.2 Verlegungsbericht
Im Verlegungsbericht sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der Verlegung zu begründen. Insbesondere sind die Gründe und Kosten, sowie Ablauf des Verfahrens und Erläuterungen zu den finanziellen und personellen Folgen der Sitzverlegung zu erläutern.(Fußnote) Im Rahmen der Sitzverlegung besteht für die Aktionäre der Gesellschaft das Recht, Widerspruch gegen die Sitzverlegung einzulegen. Die widersprechenden Aktionäre erhalten ein Abfindungsangebot seitens der Gesellschaft für die sie ihre Aktien eintauschen können. Diese Abfindungsmodalitäten müssen ebenso im Verlegungsbericht erläutert werden.
2.3.3.3 Verlegungsbeschluss
Die Hauptversammlung muss über die Sitzverlegung der SE beschließen. In der Hauptversammlung muss der Sitzverlegung mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln der vertretenen Stimmen zugestimmt werden.
Beispiel
Der Verpackungsproduzent Y-SE möchte, um Produktionskosten zu senken, seinen Hauptsitz nach Warschau verlagern. Für eine grenzüberschreitende Sitzverlegung wird die Zustimmung der Hauptversammlung benötigt. 500 der 620 anwesenden Mitglieder stimmen für eine Verlegung nach Polen.
- 500 von anwesenden 620 Mitgliedern - somit drei Viertel der Mitglieder - haben für eine Sitzverlegung gestimmt, sodass der Beschluss gültig ist. Die Y-SE kann ihren Sitz nach Polen verlegen.
2.3.3.4 Regelung der Austrittsrechte
Diejenigen Aktionäre, die dem Verlegungsplan widersprochen haben, erhalten eine monetäre Vergütung in Form einer Abfindung. Sofern die Aktionäre das Barabfindungsangebot annehmen, erwirbt die SE eigene Aktien gem. § 12 SEAG.
2.3.3.5 Bestätigung der Voraussetzungen und Handelsregistereintragung
Ehe die SE in das Handelsregister des neuen Mitgliedstaates eingetragen werden kann, muss das Leitungsorgan oder der Verwaltungsrat beim Handelsregister eine Bescheinigung beantragen, dass alle Schritte des Verlegungsprozesses rechtmäßig durchgeführt worden sind. Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, gilt die SE als eine Gesellschaft des neuen Mitgliedsstaates.(Fußnote)
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) als Rechtsform für mittelständische Unternehmen“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, und Sarah Schwab, Wirtschaftsjuristin LL.M., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-60-1.
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Stand: Januar 2017
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Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.
Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:
- "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
- "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
- "Der Unternehmenskauf - Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
- "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
- "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
- "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
- "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
- "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
- "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
- "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
- "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0
Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:
- Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
- Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
- Die Unternehmergesellschaft (UG)
Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:
- Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
- Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
- Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
- Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
- Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
- Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
- Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
- Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
- Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
- Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters
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