Arbeitnehmerüberlassung – Teil 15 – Problematik des Scheinwerkvertrags
4.1.2 Problematik des Scheinwerkvertrags
Ein sog. Scheinwerkvertrag liegt vor, wenn die beteiligten Unternehmen beim Vertragsschluss zwar eine Arbeitnehmerüberlassung vereinbaren wollen, aber zum Schein einen Werkvertrag abschließen. Man spricht in diesem Fall von einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung.
Es liegt eine gem. § 117 BGB unerhebliche Falschbezeichnung des Vertrags vor. Aus § 117 I BGB folgt, dass die Vereinbarung über den Werkvertrag nichtig ist und gem. § 117 II BGB die Regeln über die Arbeitnehmerüberlassung Anwendung finden.
Gem. § 117 II BGB findet das verdeckte Rechtsgeschäft, hier die Arbeitnehmerüberlassung, nur Anwendung, wenn die vorgeschriebene Form eingehalten wurde. Dies ist nicht der Fall, wenn der Werkvertrag nur mündlich und nicht schriftlich abgeschlossen wird, denn die Arbeitnehmerüberlassung bedarf gem. § 12 I 1 AÜG der Schriftform. Infolgedessen können die Vorschriften der Arbeitnehmerüberlassung nicht zur Anwendung kommen. Im Zweifel ist der Vertrag insgesamt nichtig nach §§ 125, 139 BGB, da das AÜG keine Heilungsmöglichkeiten vorsieht. Die Nichtigkeit allein führt nicht zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 I AÜG zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher. Erbrachte Leistungen müssen dann nach dem Bereicherungsrecht gem. §§ 812 ff. BGB rückabgewickelt werden.
Beispiel 1
Der Supermarkt "Frisch und Llecker" und die Glöckler GmbH möchten einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vereinbaren, damit die von der Glöckler GmbH an den Supermarkt ausgeliehenen Mitarbeiter den Weisungen des Geschäftsführers des Supermarkts unterstehen und er bestimmen kann, zu welchen Zeiten die Mitarbeiter arbeiten und wann sie welches Regal einräumen sollen.
- Damit die Glöckler GmbH keine Erlaubnis von der Bundesagentur für Arbeit einholen muss, vereinbaren beide einen Werkvertrag, der vorsieht, dass die Mitarbeiter der Dienstleistungsfirma als Erfüllungsgehilfen den Werkvertrag erfüllen. Damit liegt ein Scheinwerkvertrag vor.
Anderseits kann eine illegale Arbeitnehmerüberlassung vorliegen, wenn die Parteien zunächst wirksam einen Werkvertrag vereinbaren, im Verlauf der werkvertraglichen Tätigkeit der Werkvertrag aber in eine Arbeitnehmerüberlassung umschlägt. Hier fehlt meist die Erlaubnis nach § 1 I 1 AÜG.
Liegt keine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit vor, wird gem. § 10 I AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiherbetrieb (dem eigentlichen Betrieb des Scheinbestellers) fingiert. Der Werkunternehmer muss sich als Verleiher, der Besteller als Entleiher behandeln lassen.
Beispiel 2
Der Supermarkt "Frisch und Lecker" hat mit der Glöckler GmbH einen Werkvertrag zum Auffüllen der Regale abgeschlossen. Nach einigen Tagen erteilt der Geschäftsführer des Supermarktes den Mitarbeitern der Glöckler GmbH die Weisung, dass sie die Regale nicht mehr zu jeder beliebigen Zeit auffüllen dürfen, sondern nur zwischen 8 bis 12 Uhr, damit sich die Kunden von ihrer Tätigkeit nicht gestört fühlen. Ferner sollen sie die Arbeitskleidung des Supermarktes tragen, damit sie sich besser in das Gesamtbild des Supermarktes einfügen.
Eine solche arbeitsvertraglich geprägte Weisung darf der Geschäftsführer des Supermarktes gegenüber den Mitarbeitern der Glöckler GmbH nicht erteilen. Eine Weisung hinsichtlich der Arbeitszeiten kann nur durch die Glöckler GmbH erfolgen. Indem der Geschäftsführer des Supermarkts die Mitarbeiter der Glöckler GmbH auffordert, seine Arbeitskleidung zu tragen, fügt er sie in seinen Betrieb mit ein.
- Damit üben beide Parteien keinen Werkvertrag mehr, sondern eine Arbeitnehmerüberlassung aus. Ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bedarf allerdings der Schriftform nach § 12 I 1 AÜG. Wurde diese Form nicht eingehalten, ist der Vertrag nichtig. Auch im Übrigen ist der Vertrag nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, wenn die erforderliche Erlaubnis fehlt und die Parteien Kenntnis davon hatten, eine Arbeitnehmerüberlassung auszuführen und keinen Werkvertrag.
- Die ursprünglich als Werkvertrag vereinbarte Vertragsbeziehung zwischen dem Supermarkt und dem Dienstleistungsunternehmen wandelt sich in eine illegale Arbeitnehmerüberlassung, da eine erforderliche Erlaubnis fehlt.
- Während der Zeit, in der die ursprünglichen Erfüllungsgehilfen im Supermarkt arbeiten, wird gem. § 10 I AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Supermarkt und den entliehenen Mitarbeitern fingiert. Die gegenseitigen Ansprüche des Verleihers und des Entleihers richten sich nach dem Bereicherungsrecht. Weil die Bereicherung des Verleihers und des Entleihers auf einem beidseitigen Gesetzesverstoß beruht, bestimmt § 817 S. 2 BGB, dass der Entleiher die Bereicherung durch die Nutzung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht herausgeben muss und der Entleiher seine bereits gezahlte Vergütung an den Verleiher nicht ihm herausverlangen kann.
Beispiel 3
Mit der illegalen Arbeitnehmerüberlassung haben der Supermarkt und die Glöckler GmbH gegen die gesetzliche Vorschrift des § 1 AÜG, der Erlaubnispflicht verstoßen.
- Der Supermarkt kann von der Glöckler GmbH die gezahlte Vergütung für die Arbeitnehmerüberlassung nicht herausverlangen. Gleichzeitig kann die Glöckler GmbH die Bereicherung, die der Supermarkt durch den Einsatz der Mitarbeiter erlangt hat, ohne sie dafür vergüten zu müssen, nicht herausverlangen.
Die Rechtsfolge eines Scheinwerkvertrags widerspricht in den meisten Fällen den Interessen des Einsatzbetriebs. Daher schließen viele Unternehmen nur noch mit solchen Firmen Werkverträge, die gleichzeitig im Besitz der Erlaubnis nach § 1 I AÜG sind.
In Fällen, in denen unklar ist, ob ein Werkvertrag vorliegt oder eine Arbeitnehmerüberlassung, trägt diejenige Person die Darlegungs- und Beweispflicht, für die die Arbeitnehmerüberlassung günstiger wäre. So wäre es für den Verleiher günstig, wenn eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, weil er dem Leiharbeitnehmer Weisungen erteilen kann.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arbeitnehmerüberlassung“ von Tilo Schindele, auf Arbeitsrecht spezialisierter Rechtsanwalt, und Patricia Netto, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7.
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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2016