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Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 13 – Die Betriebsvereinbarung und andere Regelungsinstrumente

6. Die Betriebsvereinbarung und andere Regelungsinstrumente

Auch andere Regelungsinstrumente wirken neben der Betriebsvereinbarung gestalterisch auf das Arbeitsverhältnis ein. Das wesentliche Gestaltungsmittel für dieses ist der Arbeitsvertrag, durch den das Arbeitsverhältnis begründet wird und die Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmt werden (vgl. § 611 Abs. 1 BGB). Des Weiteren existieren auch oftmals Tarifverträge, welche auf das Arbeitsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien gem. § 4 TVG anwendbar sind. Schließlich kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auch dadurch gestalten, indem er von seinem Weisungsrecht aus § 106 GewO Gebrauch macht. Die grundsätzliche Hierarchie dieser verschiedenen Regelungsinstrumente sieht in absteigender Reihenfolge wie folgt aus:

(1) Tarifvertrag,
(2) Betriebsvereinbarung,
(3) Arbeitsvertrag,
(4) Weisung des Arbeitgebers.

6.1. Verhältnis zum Tarifvertrag

Ist ein Tarifvertrag anwendbar, so gelten deren Regelungen für das Arbeitsverhältnis nach § 4 Abs. 1 TVG grundsätzlich unmittelbar und zwingend. Insofern spricht man hier - ebenso wie bei der rechtlichen Wirkung einer anzuwendenden Betriebsvereinbarung - von einer normativen Rechtswirkung auf das Arbeitsverhältnis (vgl. --> 1.2.1).

Hierarchisch stehen tarifvertragliche Bestimmungen über solchen aus Betriebsvereinbarungen, denn vom Tarifvertrag abweichende Abmachungen sind gem. § 4 Abs. 3 TVG nur zulässig, soweit sie durch diesen gestattet sind oder eine Änderung der Regelung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Darüber hinaus entfalten Tarifvertrage unter Umständen aber auch eine Sperrwirkung für Betriebsvereinbarungen (§ 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG). Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Ihrem Sinn und Zweck nach dient diese Norm dem Schutz der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie.(Fußnote) Den Betriebspartnern soll es nämlich verwehrt bleiben, durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen Regelungen aufzustellen, die mit den tarifvertraglichen Bestimmungen konkurrieren würden.

6.1.1. Voraussetzungen der Sperrwirkung

Die Sperrwirkung eines Tarifvertrags greift, sobald die Voraussetzungen des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG erfüllt sind. So muss sich die betroffene Regelung zunächst auf Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen beziehen. Faktisch handelt es sich hierbei um alle möglichen regelbaren Arbeitsbedingungen.(Fußnote) Ferner muss die betroffene Regelung tariflich geregelt oder zumindest tarifüblich sein. An den Tarifvertrag, welcher die Sperrwirkung auslöst, müssen die Arbeitsvertragsparteien zwar nicht gem. § 3 Abs. 1 TVG gebunden sein; wohl aber muss sich sein Geltungsbereich auf den Betrieb des Arbeitgebers und auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse erstrecken. Ist die Geltung eines bestimmten Tarifvertrags lediglich arbeitsvertraglich vereinbart, löst dies keine Sperrwirkung für Betriebsvereinbarungen aus.

Beispiel
Der Betriebsrat schließt mit dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung ab, nach der den Arbeitnehmern eine einmalige Sonderzahlung gewährt werden soll. In der Vereinbarung wird weiterhin festgehalten, dass der Anspruch ausgeschlossen ist, sofern er von den Arbeitnehmern nicht spätestens bis zum Ende des auf den Fälligkeitszeitpunkt der Sonderzahlung folgenden Monats geltend gemacht wird. Der Betrieb des Arbeitgebers liegt im Geltungsbereich eines bestehenden Tarifvertrags, der für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis eine Ausschlussfrist von mindestens drei Monaten vorsieht.

  • Die Betriebspartner haben hier den bestehenden Tarifvertrag zu beachten, weil sich sein Geltungsbereich auf ihren Betrieb erstreckt. Im Tarifvertrag ist eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis geregelt, wodurch derartige Fristen nicht Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sein können (§ 77 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BetrVG). Somit ist die in der Betriebsvereinbarung zur Sonderzahlung festgehaltene Ausschlussfrist aufgrund der Sperrwirkung des Tarifvertrags unzulässig.

Beispiel
Der Arbeitgeber ist an einen Tarifvertrag gebunden, welcher bestimmt, dass die Arbeitnehmer zusätzlich zu ihrem normalen Monatsentgelt eine leistungsabhängige Zulage von bis zu 20 % des Grundgehalts erhalten sollen. Näheres regelt der Tarifvertrag nicht. Aus diesem Grund stellen die Betriebspartner zum Thema Leistungszulage eine betriebliche Regelung auf, die für die Berechnung der Zulage notwendigen Beurteilungskriterien samt ihrer Gewichtung festlegt. Laut Betriebsvereinbarung sollen die Arbeitnehmer in Abhängigkeit ihrer Leistung eine Zulage von 0, 5, 10, 15 oder 20 % des Grundgehalts bekommen.

  • Bei der hier vorliegenden tariflichen Bestimmung zur Leistungszulage handelt es sich um eine sogenannte Rahmenregelung. Eine solche hat gegenüber Betriebsvereinbarungen, die den vorgegebenen Rahmen lediglich ausfüllen, keine Sperrwirkung nach § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Da die von den Betriebspartnern aufgestellte Regelung nur den Rahmen der Bestimmung zur leistungsabhängigen Zulage ausfüllt, ist sie zulässig.

Beispiel
Auf der Grundlage eines Tarifvertrags erhalten die Arbeitnehmer ein jährliches Urlaubsgeld in Höhe von 300 Euro. Laut einer Anmerkung der Tarifvertragsparteien soll diese Regelung zum letzten Mal Bestandteil des Tarifvertrags sein. Nach seinem Ablauf schließen Betriebsrat und Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung ab, die den Arbeitnehmern einen Anspruch auf 200 Euro Urlaubsgeld gewährt.

  • Die tarifliche Regelung zum Urlaubsgeld befindet sich vorliegend aufgrund des Ablaufs des Tarifvertrags in Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG. In dieser Konstellation kommt es zu keiner Sperrwirkung gegenüber Betriebsvereinbarungen. Da die Tarifvertragsparteien auch in Zukunft nicht beabsichtigen, eine Bestimmung zum Urlaubsgeld zu vereinbaren, ist eine derartige Regelung auch nicht (mehr) tarifüblich. § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG steht somit dem hier festgelegten betrieblichen Urlaubsgeld nicht entgegen.

Beispiel
Der Arbeitgeber ist nicht tarifgebunden und es existiert auch kein Tarifvertrag, in dessen Geltungsbereich sein Betrieb liegt. In den Arbeitsverträgen der Beschäftigten findet sich jedoch ein Hinweis darauf, dass auf das Arbeitsverhältnis ein bestimmter ortsfremder Tarifvertrag Anwendung finden soll. Laut diesem steht den Arbeitnehmern eine Jubiläumsprämie in Höhe von 500 Euro zu, sobald sie dem Betrieb fünf Jahre angehören. Der Betriebsrat setzt eine Betriebsvereinbarung durch, die bestimmt, dass die Arbeitnehmer nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit einen Anspruch auf nunmehr 700 Euro Jubiläumsprämie haben sollen.

  • Die ausschließlich arbeitsvertragliche Vereinbarung, dass ein bestimmter Tarifvertrag gelten soll, begründet weder eine tarifliche noch eine tarifübliche Regelung im Sinne des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG. Somit kommt es im vorliegenden Fall zu keiner Sperrwirkung hinsichtlich der Thematik Jubiläumsprämie und die Betriebsvereinbarung ist folglich wirksam abgeschlossen worden.

Beispiel
Die Betriebspartner schließen eine Betriebsvereinbarung ab, aus der sich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf ein jährliches Urlaubsgeld ergeben soll. Klassischerweise wird ein solches auch durch einen Tarifvertrag geregelt, in dessen Geltungsbereich der Betrieb des nicht tarifgebundenen Arbeitgebers liegt. Da dieser Tarifvertrag abgelaufen ist, gilt er zurzeit nicht. Der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaft befinden sich in Verhandlungen über den Abschluss eines neuen Tarifvertrags. Die Regelung zum Urlaubsgeld soll wieder Bestandteil des Vertrags sein.

  • Ein jährliches Urlaubsgeld wird vorliegend normalerweise von den Tarifvertragsparteien tariflich geregelt. Dies soll auch weiterhin so geschehen, weshalb hier ein Fall der Tarifüblichkeit gegeben ist. Die Vereinbarung eines betrieblichen Urlaubsgelds durch die Betriebspartner ist somit unzulässig (§ 77 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BetrVG).

Beispiel
Bis zum Ende des Jahres bestand ein Tarifvertrag, durch den ein Anspruch auf eine Jubiläumsprämie geregelt war. Um den Abschluss eines neuen Tarifvertrags voranzutreiben, macht die Gewerkschaft Zugeständnisse. Künftig soll im Tarifvertrag auf die Regelung zur Gewährung der Jubiläumsprämie gänzlich verzichtet werden. Im neuen Jahr schließt der Arbeitgeber, der noch nie tarifgebunden war, dessen Betrieb aber im Geltungsbereich des abgelaufenen Tarifvertrags ist, mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung "Jubiläumsgeld" ab. Die Arbeitnehmer sollen nach dieser eine Sonderzahlung bekommen, sobald sie eine bestimmte Zeit lang im Betrieb beschäftigt waren.

  • Die tarifliche Regelung der Jubiläumsprämie soll künftig nicht mehr in den Tarifvertrag aufgenommen werden, weshalb die Tarifüblichkeit dieser Bestimmung entfällt. Daher gibt es vorliegend keine Sperrwirkung gem. § 77 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BetrVG für Betriebsvereinbarungen, durch die eine solche Prämie geregelt wird. Somit ist die hier zwischen den Betriebspartnern geschlossene Vereinbarung zulässig.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.


 

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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Herausgeber / Autor(-en):

Portrait Tilo-Schindele  Rechtsanwalt Tilo Schindele

Normen: § 611 Abs. 1 BGB, § 4 Abs. 1 TVG, § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG

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