Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 14 – Ausnahmen
6.1.2. Ausnahmen
Sind sämtliche Voraussetzungen der Tarifsperre nach § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG erfüllt, greift die Sperrwirkung für Betriebsvereinbarungen ausnahmsweise dann nicht, wenn
- im Tarifvertrag eine Öffnungsklausel gem. § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG vereinbart ist,
- die Betriebsvereinbarung eine soziale Angelegenheit regelt, die der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt (§ 87 BetrVG), oder
- es sich bei der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung um einen Sozialplan handelt.
Ist im Tarifvertrag eine Öffnungsklausel nach § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG vereinbart, durch welche die Tarifvertragsparteien den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zulassen, wird hierdurch die Sperrwirkung hinsichtlich der betroffenen Regelung aufgehoben.
Beispiel
Ein Tarifvertrag sieht vor, dass die Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein jährliches Weihnachtsgeld in Höhe von 50 Prozent ihres durchschnittlichen Monatsgehalts haben. Ferner heißt es ausdrücklich, hiervon abweichende Betriebsvereinbarungen seien zulässig, wenn dies zur Milderung oder Beseitigung wirtschaftlicher Schwierigkeiten erforderlich ist. Da sich der tarifgebundene Arbeitgeber zurzeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, schließt er mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung ab, nach der den Beschäftigten künftig nur noch ein jährliches Weihnachtsgeld in Höhe von 25 Prozent ihres durchschnittlichen Monatsgehalts zustehen soll.
- Die grundsätzlich bestehende Sperrwirkung des Tarifvertrags bezüglich des Weihnachtsgelds entfällt hier durch die vereinbarte Öffnungsklausel gem. § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG. Somit ist die von den Betriebspartnern getroffene Regelung zulässig.
Die Sperrwirkung von Tarifverträgen gilt weiterhin auch dann nicht, wenn die Betriebsvereinbarung bezüglich einer sozialen Angelegenheit gem. § 87 Abs. 1 BetrVG abgeschlossen wurde. Die Tarifsperre nach § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG steht somit Betriebsvereinbarungen, durch welche der Betriebsrat sein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 2 ausübt (vgl. --> 4.1.2), nicht entgegen.
Beispiel
Arbeitgeber und Betriebsrat schließen eine Betriebsvereinbarung "Allgemeine Urlaubsgrundsätze" ab. Im laufenden Jahr nicht genommene Urlaubstage sollen grundsätzlich spätestens bis Ende Januar des Folgejahres genommen werden. Im Übrigen würden die gesetzlichen Bestimmungen gelten. Normalerweise existiert ein Tarifvertrag, der eine automatische Übertragung nicht genommener Urlaubstage ins Folgejahr vorsieht. Sein Geltungsbereich erstreckt sich auch auf den Betrieb des nicht tarifgebundenen Arbeitgebers. Da der Tarifvertrag abgelaufen ist und demnach momentan nicht gilt, verhandeln Gewerkschaft und Arbeitgeberverband über einen baldigen Neuabschluss. Alle Urlaubsregelungen sollen unverändert übernommen werden.
- Da die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag normalerweise bestimmen, dass nicht genommene Urlaubstage automatisch ins Folgejahr übertragen werden, und eine derartige Regelung auch erneut vereinbart werden soll, liegt hier im Grunde Tarifüblichkeit vor. Prinzipiell würde dies eine Sperrwirkung für die abgeschlossene Betriebsvereinbarung auslösen. Da der Betriebsrat aber bei der Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG hat, kommt es hier nicht zur Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BetrVG. Der Inhalt der Betriebsvereinbarung ist demnach zulässig.
Für eine Betriebsvereinbarung, die einen Sozialplan (--> 10.3) darstellt, gilt die Tarifsperre ebenfalls nicht (§ 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG). Somit können Sozialpläne, die infolge einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG abgeschlossen werden, tarifliche oder tarifübliche Regelungen zum Inhalt haben.
Beispiel
Da der Betrieb des Arbeitgebers verlegt werden soll, vereinbaren die Betriebspartner einen Sozialplan. Dieser enthält eine Regelung für solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsweg sich künftig aufgrund der Verlegung des Betriebs verlängert. Sie sieht vor, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten für einen Zeitraum von 1 Jahr für jeden zusätzlichen Kilometer Wegstrecke 0,30 Euro gewähren wird. Eine ähnliche und tarifübliche Bestimmung existiert ebenfalls. Nach dieser sollen den Arbeitnehmern im Falle einer Betriebsverlegung jedoch lediglich 0,15 Euro pro zusätzlichem Kilometer zustehen.
- Der Sozialplan wurde hier infolge einer Betriebsänderung in Gestalt einer Betriebsverlegung abgeschlossen (§ 111 S. 1 Nr. 2 BetrVG). Für einen solchen ist die in § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG vorgesehene Tarifsperre gem. § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG nicht anwendbar. Somit kann die hier zwischen den Betriebspartnern vereinbarte Zusatzleistung Gegenstand des Sozialplans sein.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.
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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2017