Arbeitnehmerüberlassung – Teil 18 – Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung
6. Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung
Eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn bei der Arbeitnehmerüberlassung eine Berührung mit Drittstaaten vorliegt.
Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Verleiher seinen Sitz oder seine Niederlassung im Ausland hat oder wenn der Entleiher ein ausländisches Unternehmen ist. Ferner liegt eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn der Tätigkeitsort des Leiharbeiters im Ausland liegt.
In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob deutsches Recht Anwendung findet.
Eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung berührt unterschiedliche Teilbereiche verschiedener Rechtsordnungen. Daher ist schwierig, welche von mehreren möglichen internationalen Rechtsordnungen in einem grenzüberschreitenden Fall Anwendung finden.
Beispiel 1
Der Vertrag zwischen der deutschen Modekette Chic AG und dem Kleiderproduzenten in der Türkei ist eine illegale Arbeitnehmerüberlassung.
- Die Arbeitnehmerüberlassung hat Berührungen zum deutschen und zum türkischen Recht. Daher müssen sowohl die Arbeitnehmerüberlassungsvorschriften des deutschen Rechts, als auch des türkischen Rechts eingehalten werden. Sieht das türkische AÜG ebenfalls eine Überlassungserlaubnis vor, benötigt die Chic AG eine deutsche und eine türkische Überlassungserlaubnis.
Das AÜG als Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Gewerberechts folgt dem sog. Territorialprinzip. Jede Arbeitnehmerüberlassung, die in, nach oder aus Deutschland erfolgt bedarf danach der Erlaubnis durch die Bundesagentur für Arbeit.
Regelmäßig gilt auch in den Ländern aus der bzw. in die, die Arbeitnehmerüberlassung erfolgt, das Territorialprinzip, sodass die Arbeitnehmerüberlassung deren gewerberechtlichen Zulassungsvoraussetzungen entsprechen muss.
In solchen Fällen spricht man vom sog. Doppelerfordernis.
Hierbei ist besonders schwierig, wenn die Rechtsordnung eines Landes z.B. eine Vertragsgestaltung erfordert, die im anderen Land gerade verboten ist.
Beispiel 2
Die Chic AG vereinbart eine Arbeitnehmerüberlassung mit einem ausländischen Kleiderproduzenten. In diesem Ausland ist eine Arbeitnehmerüberlassung nur zulässig, wenn der Entleiher den Leiharbeitnehmer nur kurzfristig beschäftigt und nicht vom Verleiher abwirbt. Unstatthaft wäre damit eine Vereinbarung, die dem Entleiher erlaubt, den Leiharbeitnehmer zu einem Zeitpunkt einzustellen, in dem die Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr besteht. Eine solche Vereinbarung ist in Deutschland gem. § 9 Nr. 3 AÜG unwirksam.
- Daher muss eine Einigung zwischen beiden Ländern getroffen wird, dass in keinem Land eine verbotene Arbeitnehmerüberlassung betrieben wird.
Die Bundesagentur für Arbeit hat mit den Behörden anderer Staates besondere Regelungen getroffen, wenn die Voraussetzungen des deutschen AÜG nicht mit dem Recht eines anderen Staates übereinstimmen. Die deutsche Erlaubnisbehörde braucht bei einem Doppelerfordernis nicht zu prüfen, ob die ausländischen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt wurden. Ansonsten würde es dazu führen, dass eine deutsche Behörde ausländisches Recht prüft, wozu sie nicht in der Lage ist und das den Interessen des ausländischen Staates widerspricht.
Überlässt ein Verleiher einen Ausländer an einem Dritten ohne Erlaubnis oder setzt ein Entleiher einen überlassenen Ausländer zu Arbeitsbedingungen ein, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Leiharbeitnehmer stehen, sind die Straftatbestände nach §§ 15, 15a AÜG zu beachten.
§ 15 AÜG regelt das strafbare Verhalten des Verleihers. Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn er vorsätzlich einen Ausländer, der keine erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 AufenthaltsG, keine zur Beschäftigung berechtigende Gestattung oder Duldung bzw. keine erforderliche Arbeitserlaubnis gem. § 284 I SGB II besitzt, entgegen § 1 AÜG ohne Erlaubnis einem Dritten überlässt. Die Vorschrift schützt nicht nur die besonders schutzwürdigen ausländischen Arbeitnehmer, sondern auch den deutschen Arbeitsmarkt, vor unseriösen Unternehmern, die mir ihrem Verhalten die Bedingungen des Wirtschaftsmarkts verfälschen.
Ein besonders schwerer Fall liegt nach § 15 II AÜG vor, wenn der Verleiher gewerbsmäßig oder aus grobem Eigennutz handelt. Ein grober Eigennutz ist bei einem Gewinnstreben anzunehmen, das deutlich über das übliche kaufmännische Maß hinausgeht.
§ 15 a AÜG regelt das strafbare Verhalten des Entleihers. Erforderlich ist der Entleih eines ausländischen Leiharbeitnehmers mit Überlassungserlaubnis des Verleihers nach § 1 I 1 AÜG. Der ausländische Leiharbeitnehmer darf wie in § 15 AÜG keine Arbeitsgenehmigung haben und muss beim Entleiher ausbeuterischen Arbeitsbedingungen unterliegen. Dabei ist das Verhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer entscheidend, das erheblich schlechter gestaltet sein muss, als im Verhältnis des Verleihers mit deutschen Leiharbeitnehmern in gleicher oder vergleichbarer Tätigkeit.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arbeitnehmerüberlassung“ von Tilo Schindele, auf Arbeitsrecht spezialisierter Rechtsanwalt, und Patricia Netto, wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7.
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zum vorhergehenden Teil des Buches
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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.deStand: Januar 2016