Die strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 02 – Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 - 3 AO: Zweck, Regelungsgehalt und Systematik
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
3 Allgemeines zur Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1-3 AO
Die Selbstanzeige ist eine Ausnahmeregelung. Ihren Zweck und ihre Rechtfertigung findet sie in steuerpolitischen Erwägungen. Sie bildet einen sogenannten persönlichen Strafaufhebungsgrund (nicht Strafausschließungsgrund)
3.1 Ausnahmestellung der Selbstanzeige
Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO ist eine Ausnahmevorschrift im gesamten Regelungssystem des deutschen Strafrechts, denn regelmäßig besteht keine Möglichkeit, nach der Beendigung der Tat noch Straffreiheit zu erlangen. Dennoch stellt die strafbefreiende Selbstanzeige keinen Fremdkörper im Gefüge des Strafrechts dar, denn die Regelung ist seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des deutschen Rechts.
Das allgemeine Strafrecht gewährt Straflosigkeit nur nach § 24 StGB für den Rücktritt vom Versuch und in Ausnahmefällen durch tätige Reue.
Der maßgebliche Unterschied vom Rücktritt und der tätigen Reue zur strafbefreienden Selbstanzeige ist, dass beim Rücktritt und bei der tätigen Reue die Straffreiheit daran gekoppelt ist, dass der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt, den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges oder der sich aus der Tat ergebenden Nachteile verhindert oder zu verhindern versucht.
Beispiel(Fußnote)
A reicht bei der Finanzbehörde eine Steuererklärung ein, die in mehreren Punkten unzutreffend ist. Bevor das Finanzamt über die Steuererklärung entscheidet, entschließt sich A, die Steuererklärung zurückzuziehen und eine zutreffende Erklärung einzureichen. Während er auf dem Flur des Finanzamts darauf wartet, beim zuständigen Beamten vorgelassen zu werden, erscheint in seinen Geschäftsräumen ein Prüfer, der damit die Sperrwirkung gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1 a AO auslöst. A gibt die zutreffende Erklärung ab.
- Mit der Abgabe der zutreffenden Erklärung (Selbstanzeige) erlangt A Strafffreiheit, weil er damit die erste Erklärung berichtigt bzw. ergänzt und damit vom beendeten Versuch zurücktritt.
Schadenswiedergutmachungshandlungen, wie sie in § 371 AO vorgesehen sind können nicht nur strafmildernd berücksichtigt werden, sondern zum Absehen von Strafe führen, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen festgesetzt wurde.
3.2 Zweck und Rechtfertigung der Selbstanzeige
Nach herrschender Meinung findet die strafbefreiende Selbstanzeige ihre Rechtfertigung in steuerpolitischen Erwägungen. Durch das Zurückstellen des staatlichen Strafanspruchs und der in Aussichtstellung der Straffreiheit soll der Anzeigende motiviert werden, nachträglich seine steuerlichen Pflichten zu erfüllen und dem Staat so ein höheres steuerliches Aufkommen zu ermöglichen.
Neben dem steuerpolitischen Interesse spielen kriminalpolitische Interessen eine Rolle. Die erweiterte Strafbefreiung bei der Steuerhinterziehung trägt den erschwerten Ermittlungen bei Steuerhinterziehungen und den dadurch bedingten hohen Dunkelziffern Rechnung, denen sich die Strafverfolgungsbehörden nicht nur aufgrund des chronischen Personalnotstandes, sondern auch dem Fehlen eines Opfers, das die Tat zur Anzeige bringen könnte, ausgesetzt sieht. Die Rückkehr zur Straffreiheit und damit der Weg in die Steuerehrlichkeit sind insbesondere in den Fällen periodisch wiederkehrender Steuern geboten. Denn ohne die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige wäre der Täter, der in die Steuerehrlichkeit zurückkehren möchte, gezwungen, sich unter Inkaufnahme der Strafe selbst einer Steuerhinterziehung zu bezichtigen.
3.3 Regelungsgehalt und Systematik der Selbstanzeige
Das Gesetz stellt an eine strafbefreiende Selbstanzeige verschiedene Anforderungen, die teilweise vorauszusetzen und teilweise auszuschließen sind. Ausgehend von dieser Gesetzessystematik wird bei § 371 AO gewöhnlich zwischen positiven und negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen unterschieden. Die positiven und negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 371 AO sind abschließend. Überdies bildet eine mangelnde Freiwilligkeit zur Selbstanzeige keinen Ausschlussgrund für die strafbefreiende Wirkung, noch ist umgekehrt die Freiwilligkeit der Selbstanzeige keine positive Voraussetzung für die Straffreiheit. Insofern sind die Motive für eine strafbefreiende Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO unbeachtlich.
3.3.1 positive Wirksamkeitsvoraussetzungen
Die positiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige ergeben sich aus § 371 Abs. 1 und 3 AO sowie für einen Sonderfall aus § 371 Abs. 4 AO:
- Nach § 371 Abs. 1 AO wird straffrei, wer unrichtige oder unvollständige Angaben einer unverjährten Steuerart berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt. Zusammengefasst erfordert die strafbefreiende Selbstanzeige also ein aktives Korrekturverhalten des Anzeigenden, das herkömmlich unter dem Begriff „Berichtigung“ zusammengefasst wird.
- Daneben ist die Wirksamkeit der strafbefreienden Selbstanzeige – soweit bereits Steuerverkürzungen eingetreten sind – an eine Wiedergutmachungsleistung des Anzeigenerstatter geknüpft, § 371 Abs. 3 AO. Der Steuerhinterzieher hat die verkürzten Steuerbeträge innerhalb einer bestimmten Frist nachzuentrichten.
- § 371 Abs. 4 AO steht hingegen nur in äußerem Zusammenhang mit § 371 AO und regelt die strafhindernde Wirkung von Anzeigen Dritter nach § 153 AO.
3.3.2 negative Wirksamkeitsvoraussetzungen
§ 371 Abs. 2 AO normiert die negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige. Ausgeschlossen ist eine strafbefreiende Selbstanzeige in acht Fällen.
Ausgeschlossen ist danach eine Selbstanzeige, die nach
- der Ermittlung einer Steuerstraftat bzw. -ordnungswidrigkeit (§ 371 Abs. 2 Nr. 1a, c und d AO)
- der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1b AO) und
- einer Entdeckung der Tat (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO)
- Umsatzsteuer-Nachschau gem. § 27b UStG
- Lohnsteuer-Nachschau des § 42g EStG sowie
vorgenommen wird.
Mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz neu hinzugekommen ist außerdem erstmals eine betragsmäßige Sperre, die bei 25 000 Euro liegt (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO). Nicht zuletzt sperrt schließlich auch das Vorliegen eines in § 370 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AO genannter besonders schwerer Fall die Anzeige nach § 371 AO.
Dies sind Fälle, in welchen der Täter
- seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht (Nr.2)
- die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht (Nr. 3)
- unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (Nr. 4) oder
- als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Steuerhinterziehung verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchsteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchsteuervorteile erlangt (Nr. 5).
Im Sonderfall der Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO bildet allein die Konstellation der Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO einen Sperrgrund.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die strafbefreiende Selbstanzeige“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2.
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Carola Ritterbach
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Stand: Januar 2016
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Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
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on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
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