Die strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 04 – Rechtsnatur der Selbstanzeige und ihre Folgen; Konkurrenzen
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
3.5 Rechtsnatur Folgen
Die Selbstanzeige kommt grundsätzlich nur demjenigen zugute, der die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung in seiner Person erfüllt. Die Voraussetzungen des § 371 AO müssen bei jedem Beteiligten selbstständig geprüft werden. Deshalb stellt sie einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar, der nachfolgend verschiedene Rechtsfolgen auslöst.
3.5.1 Rechtsnatur
Nach herrschender Meinung im Schrifttum und in der Rechtsprechung bildet die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 bis 3 AO einen sogenannten persönlichen Strafaufhebungsgrund (nicht Strafausschließungsgrund).
3.5.2 Rechtsfolgen
Aus der Rechtsnatur der Selbstanzeige als persönlicher Strafaufhebungsgrund ergeben sich unter anderem folgende Konsequenzen: Die Voraussetzungen des § 371 Abs.1 und 3 AO müssen erfüllt sein, eine Ausweitung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO darf nicht erfolgen und bei Zweifeln gilt der strafrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten/Beschuldigten".
3.5.2.1 Persönlicher Strafaufhebungsgrund
Aus der Tatsache, dass die strafbefreiende Selbstanzeige einen persönlichen Strafaufhebungsgrund darstellt, ergibt sich zunächst, dass die strafbefreiende Wirkung des § 371 AO grundsätzlich nur demjenigen zugutekommt, der die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung in seiner Person erfüllt. Somit müssen die Voraussetzungen des § 371 AO bei jedem Beteiligten einzeln vorliegen.
3.5.2.2 Objektive Vorstellung
Die Straffreiheit nach § 371 AO hängt einzig und allein vom Vorliegen der in den genannten Vorschriften aufgeführten Voraussetzungen ab (objektive Vorstellung). Objektiv meint, dass es einzig und allein auf die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale ankommt und nicht auf persönliche Empfindungen. Subjektive Vorstellungen, wie Reue oder Irrtum des Anzeigenden, sind unbeachtlich. Das bedeutet bspw. dass der Anzeigenerstatter seine Verfehlung nicht bereuen muss oder dass der insolvente Anzeigenerstatter zahlen muss, wenn er die Sanktionen nach § 370 AO verhindern will.
3.5.2.3 Analogieverbot und Grundsatz „in dubio pro reo“
Die Vorschriften über die strafbefreienden Selbstanzeigen unterliegen dem Analogieverbot. D.h., dass die negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen (§ 371 Abs. 2 AO) nicht zu Lasten des Täters bzw. Anzeigenerstatters erweiternd ausgelegt werden dürfen.
Überdies gilt der In-dubio-pro-reo-Grundsatz, sodass bei Zweifeln über das Vorliegen der Wirksamkeitsvoraussetzungen, sowohl der positiven als auch negativen, stets zugunsten des Anzeigenerstatters beziehungsweise Täters zu entscheiden ist.
3.5.2.4 Verfahren
Nach Eingang der Anzeige gelangt der Fall zunächst üblicherweise zur örtlich zuständigen Straf- und Buß-geldsachenstelle, §§ 386 ff. AO, die verwaltungsintern in letzter Konsequenz über die Wirksamkeit der Selbstanzeige entscheidet. Diese leitet regelmäßig ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren ein, um die Wirksamkeit der Selbstanzeige zu überprüfen. Mit der Feststellung der strafaufhebenden Wirkung der Selbstanzeige entfällt eine bis dahin bestehende positive Verurteilungsprognose. Ein bereits eingeleitetes Strafverfahren ist nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Wird die strafaufhebende Wirkung der Anzeige erst im Hauptverfahren festgestellt, so ist der Angeklagte freizusprechen.
3.5.2.5 Umfang
Die strafbefreiende Selbstanzeige berücksichtigt ausschließlich die Straffreiheit hinsichtlich der Steuerhinterziehung nach § 370 AO. Wenn der Anzeigenerstatter offenbart, dass er ein nicht selbstanzeigefähiges Delikt verwirklicht hat, bleibt insoweit die Strafbarkeit der anderen Straftat(en) bestehen.
Beispiel
Unternehmer A fälscht Belege um seinen Gewinn und erhaltene Umsatzsteuer so niedrig wie möglich zu halten. Nach einem heftigen Streit mit seinem Geschäftspartner B fürchtet A, dass B, der von diesen Machenschaften weiß, ihn deshalb belangen will. A zeigt sich formgerecht an.
- Die Selbstanzeige für die Steuerhinterziehung ist wirksam ergangen. Für die Urkundenfälschung kann A durchaus belangt werden.
3.6 Konkurrenzen
Die Selbstanzeige stellt zwar im Strafrecht nach heutiger Sicht keine Ausnahme mehr dar, allerdings unterscheidet sie sich erheblich von den anderen strafrechtlichen Vorschriften.
3.6.1 Verhältnis von § 24 StGB zu § 371 AO
Nach heute herrschender Ansicht wird der Rücktritt von einer versuchten Straftat nach § 24 StGB nicht von der Selbstanzeige nach § 371 AO als Spezialnorm verdrängt. Beide Normen stehen selbstständig nebeneinander. Somit ist § 24 StGB, ohne dass die Voraussetzungen der strafbefreienden Wirkung einer Selbstanzeige vorliegen, auf den Versuch einer Steuerhinterziehung anwendbar und damit ein Rücktritt von dem Versuch möglich. Dahinter steht die Erwägung, dass § 371 AO aus steuerpolitischen Gründen die Möglichkeiten zum Abstandnehmen von Straftaten nicht einschränken, sondern erweitern soll. Umgekehrt ist eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO - ohne dass die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 24 StGB vorliegen müssen - bei einem Versuch einer Steuerhinterziehung möglich.
3.6.2 Verhältnis von § 153 AO zu § 371 AO
§ 153 AO normiert in seinen drei Absätzen drei unterschiedliche Erklärungspflichten:
- Abs. 1 verpflichtet den Steuerpflichtigen und die übrigen dort Genannten bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 AO) zur Anzeige und Berichtigung von Erklärungsfehlern, wenn sie nach Abgabe der Steuererklärung die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit erkennen
- Abs. 2 regelt die Anzeigepflicht für die Fälle, in denen nachträglich Tatsachenveränderungen bei Steuerbefreiungen, -ermäßigungen oder sonstigen -vergünstigungen eintreten
- Abs. 3 betrifft den Spezialfall der zweckwidrigen Verwendung von Waren, für die eine Verbrauchsteuervergünstigung gewährt worden ist.
Wird die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige und Berichtigung aus § 153 AO erfüllt, entfällt die Ahndung wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO; wird diese nicht erfüllt, kann dies den Tatbestand durch Unterlassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllen.
Die Nacherklärung gem. § 153 AO unterscheidet sich von der Selbstanzeige im Verschulden hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der Steuererklärung. Während § 371 AO eine vorsätzliche Steuerverkürzung voraussetzt, trifft die Nacherklärungspflicht denjenigen, der nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 AO) feststellt, dass - ohne eine Steuerhinterziehung - frühere Erklärungen unbewusst falsch waren.
Die Berichtigungserklärung nach § 153 AO ist an sich, was den Form und den Inhalt der Erklärungshandlung betrifft, identisch mit der Selbstanzeigeerklärung i.S. der §§ 371 Abs. 1 bzw. 378 Abs. 3 AO.
3.6.3 Verhältnis von § 46a StGB zu § 371 AO
§ 46a StGB eröffnet die Möglichkeit, durch Schadenswiedergutmachung die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern oder von Strafe abzusehen.
§ 46a StGB ist über § 369 Abs. 2 AO im Steuerstrafrecht anwendbar. Bedeutung erlangt § 46a StGB in Fällen missglückter Selbstanzeigen, insb. wenn die strafbefreiende Wirkung in Folge eines Ausschlussgrundes nach § 371 Abs. 2 AO entfällt oder in Fällen, in denen der Täter nicht in der Lage ist, eine korrekte Berichtigungserklärung einzureichen.
In diesen Fällen ist eine Milderung der Strafe oder ein Absehen von dieser möglich, sobald der Steuerpflichtige die verkürzten Steuern nachgezahlt hat. Anders als bei § 371 AO steht die Anwendung von § 46a StGB im Ermessen des Gerichts.
3.6.4 Verhältnis von § 4 Abs. 2 EStG zu § 371 AO
Nach § 4 Abs. 2 S. 1 EStG darf der Steuerpflichtige die Bilanz nach ihrer Einreichung beim Finanzamt ändern, soweit sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht. Eine Änderung ist dann nicht mehr zulässig, wenn die Bilanz einer Festsetzung zugrunde liegt, die nicht mehr aufgehoben oder geändert werden kann. Darüber hinaus ist eine Änderung der Bilanz nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach § 4 Abs. 2 S. 1 EStG steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach Satz § 4 Abs. 2 S. 1 EStG auf den Gewinn reicht. Nach Einreichung der Bilanz müssen Unrichtigkeiten der Bilanz, die zu einer Steuerverkürzung führen können, nach § 153 AO berichtigt werden. Bilanzberichtigungen nach § 4 Abs. 2 EStG haben keine strafbefreiende Wirkung, sofern nicht gleichzeitig die Voraussetzungen des § 371 AO vorliegen d.h. eine reine Bilanzberichtigung ist keine Selbstanzeige und kann mithin nicht zur Straffreiheit führen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die strafbefreiende Selbstanzeige“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2.

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Carola Ritterbach
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Monika Dibbelt
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Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
Stand: Januar 2016