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Das Widerrufsrecht – Teil 29 – Ausnahmen vom Widerrufsrecht

6 Ausnahmen vom Widerrufsrecht

Bestimmte Verträge hat der Gesetzgeber ganz oder unter bestimmten Umständen vom Widerrufsrecht ausgeschlossen. Dabei handelt es sich zum einen um Verträge, bei denen für den Verbraucher nur eine geringe wirtschaftliche Gefahr besteht. So sind beispielweise Außergeschäftsraumverträge die einen Mindestwert i.H.v. 40 € nicht überschreiten und sofort erfüllt werden, vom Widerruf ausgeschlossen. Zum anderen sind solche Verträge vom Widerrufsrecht ausgeschlossen, bei denen dem Unternehmer durch einen Widerruf schwere Nachteile entstehen können. So ist beispielsweise der Widerruf eines Vertrages über die Lieferung schnellverderblicher Lebensmittel ausgeschlossen, da der Unternehmer die Lebensmittel nach erfolgter Rücksendung u.U. nicht mehr verwerten kann. Er würde dadurch ein Verlustgeschäft machen.

6.1 Ausnahmetatbestände der besonderen Vertriebsformen

Es existieren Ausnahmetatbestände, bei denen kein gesetzliches Widerrufsrecht gilt:

  • Vorzeitiges Erlöschens des Widerrufsrechts,
  • ganz vom Widerrufsrecht ausgeschlossene Verträge.

Ein vertraglich vereinbartes Widerrufsrecht des Verbrauchers bei diesen Verträgen wäre jedoch möglich (§ 312g Abs. 2 S. 1 BGB).

6.1.1 Vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts

Bestellt der Verbraucher Waren, die aus Gründen der Hygiene und des Gesundheitsschutzes versiegelt sind, erlischt sein Widerrufsrecht, wenn er das Siegel entfernt (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB). Gleiches gilt für versiegelte digitale Güter wie Ton -, Videomaterial und Computersoftware (§ 312g Abs. 2 S. 2 Nr. 6 BGB) und Güter, die aufgrund ihrer Beschaffenheit mit anderen Gütern untrennbar miteinander vermischt werden (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 4 BGB).

Beispiel 1 (Hygiene):
Dem Verbraucher wird durch einen Vertreter, der Hausbesuche abstattet, eine Hautcreme verkauft. Der Verbraucher benutzt die Creme einmal. Dabei entfernt er die über dem Inhalt des Cremetopfes befestigte Aromafolie. Er ist nicht zufrieden und widerruft den Vertrag.

  • Da die durch die Entfernung der Aromafolie nicht mehr sichergestellt werden kann, dass es nicht bereits zum Hautkontakt kam, ist der Widerruf ausgeschlossen (§ 312g Abs. 2 S. 2 Nr. 3 BGB). Bei Produkten dieser Art kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch den Hautkontakt Erreger übertragen werden. Ein Wiederverkauf im Falle des Widerrufs ist ausgeschlossen, da dies gegen gesetzliche Vorschriften des Gesundheitsschutzes verstoßen würde. Der Unternehmer wäre gezwungen, das Produkt zu vernichten. Anders wäre es, wenn der Verbraucher den Vertrag vor Benutzung der Creme widerruft. Wäre die Aromafolie noch unversehrt, würde das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht vorzeitig erlöschen.

Beispiel 2 (digitale Güter):
Der Verbraucher bestellt sich im Internet eine Software. Diese wird ihm auf einer CD-ROM zugeschickt. Er entfernt die Verpackungsfolie.

  • Durch die Entfernung der Folie kann nachgewiesen werden, dass der Verbraucher Zugang zu dem Datenträger der Software hatte. Es kann damit nicht mehr ausgeschlossen werden, dass er sich eine Kopie der Software angefertigt hat. Um einen Missbrauch auszuschließen, ist ein Widerruf in diesen Fällen nicht mehr möglich (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 6 BGB). Die Gefahr eines Missbrauchs liegt hier darin, dass durch das Entfernen der Folie nicht auszuschließen ist, dass der Verbraucher sich eine Kopie der Software angefertigt hat und dann trotz Widerrufs in vollem Umfang über die Ware verfügen könnte. Der Verbraucher wäre dann ungerechtfertigt bereichert, ohne dass der Unternehmer dies prüfen könnte.

Beispiel 3 (vermischte Güter):
Der Verbraucher bestellt für seinen Ölofen 500 Liter Heizöl. Er befüllt seinen Tank mit dem Öl.

  • Das Heizöl kann nach der Befüllung in den Tank nicht mehr sicher zu 100% in seiner ursprünglichen Reinheit zurück gewährt werden. Hat der Verbraucher z.B. noch Reste einer anderen oder alten Öllieferung in dem Tank, liegt mit der Befüllung eine Substanzvermischung vor. Es ist dann nicht mehr möglich, die neue Lieferung von den alten Resten zu trennen. Mit der Vermischung der beiden Heizölbestände entfällt das Widerrufsrecht. Widerruft der Verbraucher hingegen den Vertrag bevor es zu einer Befüllung des Tanks kommt, hat noch keine Substanzvermischung stattgefunden, so dass ein Widerruf möglich ist.

6.1.2 Ganz vom Widerrufsrecht ausgeschlossene Verträge

Grundsätzlich ausgeschlossen von der Anwendbarkeit des Widerrufsrechts sind Verträge die sofort erbracht und bezahlt werden und bei denen die Gegenleistung des Verbrauchers einen Wert von 40 € nicht übersteigt (Bagatellgrenze gem. § 312 Abs. 2 Nr. 12 BGB).

Beispiel:
Bei einem Außergeschäftsraumvertrag verkauft der Unternehmer dem Verbraucher eine Tasche zum Preis von 30 €. Der Verbraucher bekommt die Tasche sofort übereignet. Der Kaufpreis wird ebenfalls sofort gezahlt.

  • Da beide Vertragsparteien ihre Leistungen sofort austauschen, wird der Vertrag sofort von beiden erfüllt. Der Wert des Geschäfts ist gering, so dass auch das wirtschaftliche Risiko des Verbrauchers niedrig ist. Bei Geschäften mit einem geringen wirtschaftlichen Risiko soll der Verbraucher nicht übermäßig geschützt werden. Es soll schließlich nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Unternehmers kommen.

Vom Widerrufsrecht ausgeschlossen sind grundsätzlich Verträge, welche die Lieferung von individuell angefertigte Waren zum Inhalt haben (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB). Der Vertrag muss auf die individuellen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sein. Ebenso sind Verträge zur Lieferung schnell verderblicher Waren ausgeschlossen (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB).

Beispiel 1 (individuelle angefertigte Ware):
Ein Außergeschäftsraumvertrag hat die Anfertigung eines maßgeschneiderten Anzuges zum Inhalt.

  • Der Anzug ist auf die Maße und damit auf die individuellen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten. Dieser Vertrag ist vom Widerrufsrecht ausgeschlossen, weil der Anzug nach einem erfolgten Widerruf nicht erneut vom Unternehmer abgesetzt werden kann. Ein Widerkäufer für eine solche Ware wird sich nur in seltenen Fällen finden.

Beispiel 2 (Lebensmittellieferung):
Ein Außergeschäftsraumvertrag hat den Verkauf von frischem Obst zum Inhalt.

  • Schnellverderbliche Lebensmittel weisen eine zu geringe Haltbarkeit auf, als dass sie innerhalb von 14 Tagen widerrufen werden können. Der Unternehmer könnte sie nach dem Widerruf in der Regel nicht mehr wiederverkaufen.

Darüber hinaus sind Verträge zur Lieferung von alkoholischen Getränken, deren aktueller Wert Preisschwankungen unterworfen ist, ausgeschlossen (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 5 BGB). Dies betrifft jedoch nur Lieferungen, die frühestens 30 Tage nach Vertragsschluss erfolgen.

Beispiel:
Der Verbraucher bestellt im Internet 10 Flaschen Wein der aktuellen Auslese zu einem festgelegten Preis. Der Vertrag wird im April geschlossen. Die Ernte erfolgt im September. Der Marktwert der aktuellen Auslese steht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht fest. Die Lieferung soll im Oktober, nach Abschluss der Veredelung erfolgen.

  • Der aktuelle Marktpreis kann bis zur endgültigen Veredelung Schwankungen unterliegen. Der gesetzliche Ausschluss des Widerrufsrechtes verhindert, dass der Verbraucher sich vom Vertrag löst, falls der Marktpreis innerhalb der Widerrufsfrist unter den Angebotspreis des Unternehmers fällt.

Verträge welche die Lieferung von Zeitschriften, Zeitungen und Illustrierten zum Inhalt haben, sind auch vom Widerrufsrecht ausgenommen. Abonnement - Verträge fallen jedoch nicht darunter. Die können, je nach Vertragsschluss, dem Widerrufsrecht nach den besonderen Vertriebsformen oder dem Widerrufsrecht der Ratenlieferungsverträge unterliegen.

Beispiel:
Der Verbraucher bestellt im Internet eine Zeitschriftenreihe über die Zeit der französischen Revolution.

  • Würde dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zustehen, könnte nicht sichergestellt werden, dass er die Zeitschriften bereits gelesen hat. Er könnte ebenso Kopien von ihnen angefertigt haben und den Vertrag dann widerrufen. Würde der Verbraucher jedes Mal so vorgehen, könnte er die Leistung des Unternehmers unentgeltlich in Anspruch nehmen und diese Vorgehensweise immer wieder anwenden. Um einem Missbrauch vorzubeugen, sind solche Verträge vom Widerruf ausgeschossen.

Ausgeschlossen vom Widerrufsrecht sind ebenso Verträge, die auf einer öffentlich zugänglichen Versteigerung geschlossen wurden (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 10 BGB) sowie Wett- und Lotteriedienstleistungen (§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 11 BGB). Bei den Wett- und Lotteriedienstleistungen besteht ein Widerrufsrecht jedoch dann, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung außerhalb der Geschäftsräume oder telefonisch abgegeben hat.

Beispiel 1 (Versteigerung):
Der Unternehmer veranstaltet außerhalb seiner Geschäftsräume eine öffentliche Versteigerung um nicht verkaufte Saisonware los zu werden.

  • Der Widerruf ist nicht möglich, da das Widerrufsrecht gegen das Wesen einer Versteigerung spricht. Wird bei einer Versteigerung ein Gebot gemacht, so erlischt dieses nur durch die Abgabe eines Übergebotes oder wenn der Zuschlag des Auktionators fehlt (§ 156 BGB). Die Möglichkeit des Widerrufs würde die Endgültigkeit des Zuschlages infrage stellen und damit dem Wesen der Versteigerung widersprechen. Nicht betroffen sind Versteigerungen auf Online - Plattformen (eBay). Diese kommen nicht durch Gebot und Zuschlag, sondern durch Angebot und Annahme zustande und enden i.d.R. durch Zeitablauf. Es fehlt bei Online - Auktionen damit an der Endgültigkeit des Zuschlages, weshalb ein Widerrufsrecht diesem nicht entgegenlaufen kann.[1]

Beispiel 2 (Lotto):
Der Unternehmer verkauft dem Verbraucher über das Internet Lottoscheine im Wert von 100 €.

  • Dem Verbraucher wird mit dem Lottoschein eine Gewinnchance "verkauft". Diese ist spekulativer Art. Der Erfolgseintritt ist also ungewiss. Würde der Verbraucher keinen Gewinn einfahren und die Lottoziehung noch innerhalb der Widerrufsfrist liegen, so könnte er jedes Mal den Vertrag widerrufen, sofern er keinen Gewinn einfährt. Dies wird mit der Ausnahmeregelung verhindert.

Ebenfalls ausgeschlossen sind Verträge, welche die Erbringung von Dienstleistungen zu Zwecken

  • der Beherbergung in Hotels, Pensionen oder Jungendherbergen,
  • der Kraftfahrzeugvermietung,
  • der Beförderung von Waren,
  • der Lieferung von Speisen und Getränken
  • sowie weiterer Dienstleistungen im Bereich der Freizeitbetätigung zum Gegenstand haben (§ 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB).

Der Widerruf ist bei diesen Verträgen nur dann ausgeschlossen, wenn der Vertrag die Erbringung der Dienstleistung zu einem spezifischen Termin vorsieht. Der Ausschluss des Widerrufsrechts rechtfertigt sich damit, dass der Unternehmer bei diesen Verträgen Kapazitäten reserviert. Würde der Verbraucher widerrufen, müssten diese Kapazitäten wieder fruchtlos freigegeben werden. So könnte Hotelbetreibern im Falle eines Widerrufs ein Gewinn entgangen sein, falls sich für den Ausfalltermin kein neuer Gast finden lässt. Gleiches gilt bei Kinokarten oder bei Autovermietungen.

Weiter sind auch Instandhaltungsarbeiten und notariell beurkundete Verträge vom Widerrufsrecht ausgenommen (§§ 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 11 und Nr. 13 BGB). Bei Instandhaltungsarbeiten ist dies nur der Fall, wenn der Verbraucher die Arbeiten ausdrücklich verlangt hat. Ein Verlangen des Verbrauchers liegt vor, wenn er den Unternehmer ausdrücklich angefordert hat.

Beispiel:
Der Verbraucher bestellt telefonisch einen Klempner, weil ein Rohrbruch vorliegt.

  • Da die Arbeiten sofort erfüllt werden müssen, würde ein Widerruf wenig Sinn machen. Der Unternehmer wäre ansonsten im Rahmen der Rückabwicklung verpflichtet, den alten Zustand wiederherzustellen.

Bei notariell beurkundeten Verträgen muss der Verbraucher nicht im Zuge des Widerrufsrechts geschützt werden. Durch die notarielle Beurkundung entsteht dem Verbraucher grundsätzlich ein geringeres wirtschaftliches Risiko. Denn dem Notar kommt eine umfassende Beratungs- und Aufklärungsfunktion zu. Dadurch wird überprüft, ob die Rechte des Verbrauchers gewahrt sind.


[1] Vgl. NJW 2005, 53.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.


 

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Stand: Januar 2016


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