Die Haftung für Steuerschulden – Teil 12 – Haftungsbescheid und Zahlungsaufforderung
15.6. Haftungsbescheid
15.6.1. Erlass
Das Finanzamt hat nach § 5 AO ein pflichtgemäßes Ermessen auszuüben. Dies besteht aus dem Entschließungs- und Auswahlermessen, wobei
- ersteres die Entscheidung darüber, ob der Haftende überhaupt in Anspruch genommen werden soll bezeichnet, und
- letzteres sich auf die Auswahl des individuellen Haftungsschuldners bei mehreren Haftenden bezieht.
Die Festsetzung der Steuer gegenüber dem Steuerschuldner ist mit Ausnahme von § 75 AO keine Voraussetzung für den Erlass eines Haftungsbescheids. Für den Erlass des Haftungsbescheids genügt, dass Steuern entstanden sind und noch nicht erloschen, bzw. sich erledigt haben.
15.6.2. Form, Inhalt und Begründung
Der Haftungsbescheid ergeht schriftliche gem. § 191 I 3 AO und mit Begründung § 119 I AO.
Darin sind Angaben zu
- den einschlägigen Haftungsvorschriften
- dem haftungsbegründenden Sachverhalt
- der zur Haftung führenden Besteuerungsgrundlage
- die Steuerberechnung
- der Haftungsgegenstand bei gegenständlich beschränkter Haftung
- die Darlegung der Ermessensausübung
- des Haftungsschuldners
- die Haftungsschuld nach der Steuerart und dem Zeitraum und
- der Betrag
erforderlich.
Fehlt die Aufgliederung der Steuerschuld ist der Bescheid rechtswidrig. Eine fehlende und unvollständige Begründung kann geheilt werden, sofern sich durch das Nachschieben von Gründen das Wesen des Haftungsbescheides nicht verändert Ein Nichtigkeit ist nur dann gegeben, wenn der Haftungsschuldner und/oder die Art der Steuer nicht angegeben wurden. Mangelnde Angaben zum Steuerschuldner sind unerheblich, wenn die Haftungsschuld in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht konkretisiert werden kann.
Beispiel 1
Herr Werner erhält als Gesellschafter der WSX-GmbH einen Haftungsbescheid. Auf diesem fehlen Angaben zum Steuerschuldner. Des Weiteren befindet sich im Haftungsbescheid nur der Hinweis auf die Haftung der "Steuerforderungen". Eine genaue Bestimmung der Art der Steuer fehlt.
- Die mangelnde Angabe zum Steuerschuldner sind unerheblich, wenn die Haftungsschuld in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht konkretisiert werden kann. Hier fehlen aber auch genaue Angaben zur Haftungsschuld.
- Der Haftungsbescheid ist nichtig.
15.6.3. Rechtsbehelf
Gegen den Haftungsbescheid kann Einspruch eingelegt werden. Im Klageverfahren ist die Anfechtungsklage nach § 40 I FGO statthaft.
Zum vorläufigen Rechtsschutz kann eine Aussetzung der Vollziehung nach §§ 361 AO und 69 FGO beantragt werden.
15.6.4. Korrektur von Haftungsbescheiden
Der Haftungsbescheid kann nach § 130 AO zurückgenommen und nach § 131 AO widerrufen werden. Eine Änderung ist nach § 129 AO möglich.
Der Steuerbescheid ist kein Grundlagenbescheid für den Haftungsbescheid. Minderungen der Steuer durch Zahlungen des Steuerschuldners oder Änderung der Steuerfestsetzung berühren den Haftungsbescheid nicht. Ein rechtmäßiger Haftungsbescheid kann nur widerrufen werden, soweit die ihm zugrunde liegende Steuer gemindert werden. Der Haftungsbescheid ist rechtmäßig, wenn er zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens (Bekanntgabe) dem Gesetz entspricht.[1]
Die Vorschriften zur Festsetzungsverjährung gelten nur für den Erlass von Haftungsbescheiden. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist sind Korrekturen zugunsten des Haftenden möglich.
15.7. Zahlungsaufforderung
Der Haftungsschuldner darf gem. § 219 AO nur auf Zahlung in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben ist oder aussichtslos erscheint.
Es ist zu unterscheiden zwischen
- der gesetzlichen Entstehung der Haftungsschuld
- dem Erlass des Haftungsbescheides undd
- er Inanspruchnahme des Haftungsschuldners durch Zahlungsaufforderung.
§ 219 AO regelt nur die Zahlungsaufforderung als eigenständigen Verwaltungsakt. Der Erlass des Haftungsbescheides selbst wird durch die Einschränkungen in § 219 AO nicht gehindert. Liegen die Voraussetzungen von § 219 AO vor, ergeht die Zahlungsaufforderung zusammen mit dem Haftungsbescheid.
Grundsätzlich erfolgt die Inanspruchnahme des Haftungsschuldner auf Zahlung nur, wenn die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners erfolglos geblieben oder aussichtslos ist.[2] Aussichtslos ist die Vollstreckung, wenn der Finanzbehörde konkrete und zeitnahe Informationen vorliegen, die die Annahme der Aussichtslosigkeit einer möglichen Vollstreckung rechtfertigen.
Eine Ausnahme ergibt sich aus § 219 S. 2 AO. Danach gilt § 219 S. 1 AO nicht, wenn der Haftende Täter oder Mittäter einer Steuerhinterziehung ist. Die Einschränkung gilt nicht für Teilnehmer einer Steuerhinterziehung. Als weitere Ausnahme wird in § 219 S. 2 AO der Fall genannt, in dem die Verpflichtung, zu Lasten eines anderen, Steuern entrichten zu müssen, verletzt wird. Auch dann kann eine Haftung nach § 69 AO ausgelöst werden und somit der § 219 S. 2 AO Anwendung finden.
Als Rechtsbehelf für die Zahlungsaufforderung kommt der Einspruch gem. § 347 I Nr. 1 AO und die Anfechtungsklage nach § 40 I FGO in Betracht.
Bei einem Haftungsbescheid ohne Zahlungsaufforderung beginnt die Zahlungsverjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Bescheid wirksam geworden ist.
Wurde die Haftungsschuld nicht rechtzeitig beglichen fallen zusätzlich Säumniszuschläge gem. § 240 I 2 AO an.
[1] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) Zu § 131 Nr.1.
[2] Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) Zu § 219 Nr. 1.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Haftung für Steuerschulden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-39-7.
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Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten. Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren. Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte.
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on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.
Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:
- Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
- Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
- Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
- Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
- Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
- Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
- Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7
Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so
- Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren
Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:
- Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
- Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
- Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
- Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
- Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
- Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
- Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter
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